40 Jahre TURA Leipzig 1899 - 1939


 Chronik von der 40 Jahrfeier des TURA Leipzig 1899 

TURN - UND RASENSPORTVEREIN VON 1899 LEIPZIG E.V.

U
         m die Jahrhundertwende ...

hatte man als Lindenauer reichlich Gelegenheit zur sonntäglichen Erholung. Ein beliebtes Ausflugsziel: Der Charlottenhof, auf dessen Teich man für 30 Pfennig stundenlang rudern und dazu pfundschwere Goldfische necken durfte. Ein nicht weniger begehrtes Ziel: Der Schleußiger Park mit feinen Attraktionen. Barren, Rundlauf, Kletterstange und Sandbahn boten willkommene Gelegenheit zu fröhlichen Tummeln und Turnen. Flohzirkus und Affenhaus fehlten ebenso wenig wie der Würstchenmann und der Kamerunwilly mit seinem unnachahmlichen Geschick, in einer möglichst großen Tüte recht wenig Nüsse für 5 Pfennig zu verstauen. Was der Neger an Nüssen zu wenig gab, ersetzte er durch einen unerschöpflichen Redewall. Zum Schleußiger Park pilgerte die Familie mit Mann und Maus, dahinter noch drei Geschwister und am Ende der Karawane die Mutter, die beiden Kleinsten im Kinderwagen, der noch viel Platz bot für den immer sehr reichlichen Mundvorrat. Bei einer riesigen Kanne Kaffee verbrachte die ganze Familie den Sonntagnachmittag im Schleußiger Park. Wer es sich leisten konnte, fuhr vom Schleußiger Park mit dem Dampfschiff auf dem Kanal bis zum Mörtelwerk und zurück. Die Kanalgesellschaft unterhielt damals zwei Schiffe, je 220 Personen fassend, dass heißt: Die Fahrgäste standen zusammengequetscht wie die Kieler Sprotten, umfallen konnte keiner. Das war jene Zeit, da die Vororte Schleußig, Plagwitz, Lindenau und Kleinzschocher noch sehr weit ab von Leipzig lagen, die Zeit der ewig haltbaren Straßen, die Zeit ohne BV.-Aral, Daynamin und Standard, jene Zeit mittelalterlicher Prüderie, standesmäßiger Vorurteile und pharisäischer Heuchelei.

Waren wir vor 14 Tagen im Charlottenhof rudern, vorigen Sonntag im Schleußiger Park, dann machen wir heute einen Ausflug nach Schönau. Ach, Schönau! Welche Anziehungskraft hat dein alter Gasthof noch vor 40 Jahren auf uns ausgeübt! Von weither locktest du die Spießbürger, von Lindenau und Plagwitz, Gohlis, Möckern und Wahren! Und wir Kinder durften für 5 Pfennig das kleine blumengeschmückte Wägelchen besteigen, das ein Böckchen dreimal um den Garten zog. - Noch ein Ausflugsziel gab es. Das war die Versuchsanstalt für Landwirtschaft der Firma Rudolf Gack zwischen Schönau und Lindenau. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie meine Mutter im matten Scheine der blinkenden Petroleumlampe einen aufsehenserregenden Aufsatz aus der "Gerichtszeitung" vorlas, in dem beschrieben wurde, wie erfolgreich die Firma Rudolf Gack in ihrer landwirtschaftlichen Versuchsanstalt eine gerade aus Amerika eingeführt und hier noch ganz unbekannte Frucht züchtete, eine Frucht, köstlich und erfrischend und nahrhaft wie Butter. Das war vor 40 Jahren. Die große Bahnbrücke im Zuge der Antonienstraße gab es noch nicht, auf getretenen Wege durch Staub oder Schlamm überquerte man die Zeitzer Bahnlinie. Der Feldweg führte längs der Bahn in südwestlicher Richtung, dorthin wo heute der TuB -Platz liegt, hinaus in freies Feld zur Versuchsanstalt. Auch wir pilgerten dorthin, um diesen köstlichen Butterersatz kennen zulernen. Die sparsamen Hausfrauen standen Schlange mit ihren Kindern und Handwagen, denn Tomaten baute 1900 nur die Firma Rudolf Gauck an! Jene Zeit der Umständlichkeit und Unbequemlichkeit ist den Älteren unter uns noch recht gut in Erinnerung. Fotos aus 1900 erregen unsere Heiterkeit. Die Damen konnten selbst im heißen Sommer die fünf Unterröcke mit vielen Spitzen und Falbeln nicht entbehren, und das mit dem Absatz abschließende Kleid wurde zur Kehrmaschine. Man konnte sich durchaus nicht trennen von den ungeschriebenen Gesetzen der Sittsamkeit. Welche Frau hätte wagen sollen, die in 30cm hohen Stiefeln eingeschnürten zarten Knöchel öffentlich zur Schau zu stellen! Als hohe Kunst galt das aller- aller-engste Schnüren des Korsetts. Jene etwas höher liegende delikate Partie erfreute sich besonders liebevoller Pflege und wurde nicht selten nach Bedarf durch einige Wäschetücke auf den wünschenswerten Umfang erweitert. Zur Erhaltung des Gleichgewichts wurde dann auch die, Kehrseite der Medaille entsprechend unterlegt. Und damit die Frau nicht vergessen konnte, mit jedem genau abgezirkelten Schritt zu balancieren, bedeckte sie ihr Haupt mit einem riesigen, blumengeschmückten Aufbau. Auf das "bürgerliche Kind" wurde dieselbe Sorgfalt verwendet. Der sechsjährige Junge trug Schuhe und Anzüge nach Maß, denn es genügte nicht, um den Abstand deutlich zu machen, dass bürgerliche Kind in die Bürgerschule zu schicken, während das Arbeiterkind die Volkschule besuchte. Ein Vermischen beider Arten war undenkbar, unvorstellbar.

So konservativ, so verkapselt war diese ganze Zeit, weil der Ehrbegriff ein falscher war. Niemand hatte den Mut, ehrlich und vernünftig zu sein und die wurmstichige Moral engstirnigen Kleinbürgertums abzuschütteln. Der Herr Oberlehrer mit 60 Talern Gehalt zählte zu den Konoratioren der Stadt, und der Maurergehilfe mit 45 Mark Wochenlohn hätte nie wagen dürfen, ein Auge auf des Herrn Oberlehrers wohlgehütetes Fräulein Tochter zu werfen. Die deutsche Sprache mit unzähligen Fremdwörtern zu durchsetzen, galt als ein Zeichen der Bildung, aber dass Wort Kameradschaft fehlte in unserem Sprachschatz und war unseren Bergriffen vollkommen fremd.

Und da kam die Moderne wie ein Sturmwind über uns gebraust. Die Jugend redete die Hand nach den Zügeln, sie drängte wie keine Jugend vor ihr nach Taten. Denn die Zeit war reif zum geistigen Umbruch, dessen Vollendung wir in den letzten Jahren bis heute erleben durften. Wie aus dem getretenen Weg eine breite gepflasterte Straße wurde, aus der Pferdebahn die Elektrische, so wandelte sich ungestüm die damalige Jugend. Statt auf dem Dampfboot zu fahren oder im Charlottenhof zu rudern gingen die Jungens ins Freibad, und statt das Kasperletheater im Schleußiger Park zu belachen, gingen die halbwüchsigen Burschen hinaus ins freie, um sich in frohen Spielen auf den zahlreichen unbebauten Plätzen zu tummeln. — Der 30.August 1899 ist ein strahlend schöner Sonntag. Der 18jährige Fleischergeselle Gustav Krauß wäscht auf dem Hofe in einem Eimer seine weißen Schürzen. Hallo, ruft ihn Paul Sinbeisen vom Nachbarhofe zu, kommst du mit zur Lipsia-Olympia? Gustav ist dabei, er hängt die gewaschenen Schürzen über den Zaun, wirft sich in Kluft, und die beiden streben in freudiger Erregung dem Fußballplatz zu. Fußballplatz? Es ist ein schönes Stück Brachland, auf dem gespielt wird. Die Mützen und Hüte der Spieler ersetzen die Torstangen, die man nur aus englischen Zeitschriften kennt, und wann der Ball „aus“ ist, darüber wird meist abgestimmt. Denn wirklich aus ist die Straße oder der angegrenzte Fabrikhof. Im Goal steht der Keeper, vor ihm zwei Back´s, und die Stürmer werden unterstützt durch drei Centerhalfs. Spielregeln sind strittig, ein Spielsystem ist unbekannt. Trumpf ist der Bombenschuss hoch in die Wolken, oder von Tor zu Tor. Dem Gustav Krauß und Paul Sinbeisen haben sich noch ein paar Lindenauer Knaben zugesellt, junge Burschen teils Schuljungen, die sich als Zaungäste der wenigen kleinen Vereine kennengelernt haben. Die Namen dieser jungen Menschen sind uns teuer und unvergeßlich, denn es sind die Gründer unseres Vereins:

Gustav Krauß (Der 1. Vereinsführer)

Fritz Runkel • Willy Burkhardt • Ernst Krause

Hugo Flohrer • Rudolf Pfeifer • Willy Stephan • Paul Sinbeisen • Alfred Krauß

Hermann Schönherr • Andreas Lupfer • Hugo Engelmann

Walter Bönning • Reinhold Grimmer

Noch vor dem Schlusspfiff sind sich die 14 jungen Burschen, in eng anliegenden zu kurzen Hosen, mit 9cm Umlegkragen, steifen Hüten und dem unentbehrlichen Spazierstöckchen am Arm, darüber einig, auch Fußball zu spielen und einen Club zu gründen. Mehr als 50 Pfennig Taschengeld hat keiner, und der strenge Vater darf von der Sache nichts wissen. Also ist der Vereinschluss der Vereinsgründung mit einem heiligen Gelöbnis, — der §1 der ungeschriebenen Satzungen, — verbunden: Verzicht auf jedes andere Vergnügen, Verzicht auf Zigarette und Limonade. Die Burschen streben nun in eifriger Unterhaltung und mit himmelstürmenden Plänen dem Frankfurter Torhaus zu (das sogleich zum Vereinslokal erkoren wurde), sie teilen sich dort in zwei  Gläser Himbeerwasser und gründen einen Fußballclub. Und weil gerade der Berliner Verein Britannia von sich reden macht und uns dieser Name gefiel, wurde der Club sogleich auf diesen Namen getauft: Britannia 1899 Leipzig.

Die Gründungsversammlung war so unkompliziert wie das Fußballspiel damaliger Zeit. Gustav Krauß notierte die Namen im Notizbuch und mit der Verpflichtung, daß das Taschengeld und jeder Fünfer Trinkgeld der Vereinskasse gehört, war der Fall erledigt. Britannia 1899 Leipzig war gegründet. Die Farben waren schneller gewählt, als die Kleidung beschafft, aber es vergingen keine acht Wochen, bis die Mannschaft in tadelloser blauer Bluse und weißer Hose, in neuen Fußballschuhen und mit dem selbstgestickten Vereinsabzeichen „B“ zu ihrem ersten Spiel gegen Eutritzscher Tapfer antrat. Wo jetzt das Gebäude der Ortskrankenkasse steht, dort spielte zuerst die alte Britannia 1899.

Fünfzehn Jahre nach der Vereinsgründung. Extrablätter verkünden die Ermordung des österreichischen Thronfolgers. Der Krieg hängt in der Luft. Ein Ultimatum jagt das andere: Jeder fühlt Gewitterschwüle. In dieser Situation geschieht etwas Wunderbares, Einmaliges. Am Abend des 30.Juli 1914 kommen alle Kameraden, ohne von irgendjemand benachrichtigt zu sein, im Vereinlokal zusammen. Es wird nicht viel geredet ernst und entschlossen sind die Gesichter. Da erhebt sich unser Kamerad Theodor Keiner und spricht mit wenigen Worten zu seinen Getreuen: „Kameraden, es scheint mir, dass wir uns jetzt für einige Zeit trennen müssen. Das Vaterland ruft. Wen es ruft, der tue getreu seine Pflicht. wir sind als 99er gewohnt, zu kämpfen und zu siegen. Ihr, die ihr vielleicht schon morgen marschieren werdet, sollt wissen, dass eure zurückbleibenden Kameraden hinter euch stehen in Liebe und Treue. Haltet auch ihr unseren Verein die Treue, ... einer für alle, alle für einen ...“ In diesem Augenblick wird die Tür aufgerissen, und eine Stimme ruft in den Raum: „Mobil!“ Stumm reichen sich die Kameraden die Hände, umarmen sich, und gehen dann auseinander. Der Krieg beginnt.

Die 99er haben nie zum Spiel eingeladen. Wer noch in der Heimat weilt, kommt an jedem Sonntag früh zum Training, und hier erfährt er auch, wo und gegen wen am Nachmittag gespielt werden soll. So vergehen in der allerbesten Kameradschaft Wochen, Monate, Jahre. Groß ist die Freude, wenn ein Kamerad auf Urlaub kommt. Dann gibt es zu seinen Ehren ein besonderes Spiel. Tief und aufrichtig war die Bekümmernis um jeden Kameraden, der in Feindesland sein Leben lassen mußte. Wir haben sie alles so gut gekannt, so vollkommen verstanden, so innig geliebt, sie waren uns verbunden durch selbstlose Hingabe, uns vertraut durch ihre unverbildete und einfache Gesinnung, lieb und teuer durch ihren restlosen Einsatz für die Ehre und das Wohlergehen des Vereines. Das Schicksal wollte, dass uns die Besten entrissen wurden. Wir ehrten unsere gefallenen Helden durch einen schlichten Gedenkstein am Eingang zum 1. Spielfeld auf der Platzanlage Lindenau, und keine Mannschaft betritt das Spielfeld, ohne den gefallenen Kameraden einen stummen Gruß zu entbieten. Der Krieg hatte unsere Reihen gelichtet, doch waren auch alle anderen Vereine ebenso betroffen. Was lag näher, als dass sich die kleineren Vereine auflösen oder zusammenschlossen! Am 19. Dezember 1919 kam es zu dem Zusammenschluss der alten Britannia 1899 mit Hertha 05 (vor dem Kriege Hohenzollern 05) unter dem Vereinsnamen: Leipziger SV 1899. Die reibungslose Verschmelzung, getragen von besten Kameradschaftsgeist, ist den Vorsitzenden beider Vereine zu danken: Friedrich Schwabe (Britannia) und Karl Lehmann (FC Hertha 05).

Wir wissen, dass nach Kriegsschluss die Vereine zu einer ganz großen und schnellen Entwicklung kamen. Möglich, dass die Idee Sport gerade zu diesem Zeitpunkt überreif war, möglich auch, dass der Einzelne jetzt nach Liquidierung der Feindseligkeiten die Möglichkeit einer langen, ruhigen Entwicklung vor sich sah: kurz, die Sportvereine wurden sehr stark, sie arbeiteten zielsicher und mit sehr großen Kräften. Im Osten Leipzigs bauten der VfB und die Fortuna ihre prachtvollen Stadien, Wacker folgte kurz darauf und wir erwarben die schönen Spielfelder in Lindenau an der Merseburger Straße. Außerordentlich lebhaft war die sportliche Betätigung aller Altersklassen. Pflege wurde der Jugendbewegung zuteil und auf diesem Gebiete erwarben sich die Kameraden Oskar Kirschhöfer, Max Schulze, Otto Herrmann, Arno Kahl, Hermann Donner und Rudolf Bauch größte Verdienste. Diesen unentwegten Pionieren und selbstlosen Mitarbeitern unter dem Vereinsführer Friedrich Schwabe verdankt der Verein ein hohes Ansehen im deutschen Fußball. Langhammer, Berus und Keiner fingen als Knaben an und spielen heute noch als Senioren, und in der Vereinsleitung erwarben sich die Kameraden Linzer, Richard Müller (25 Jahre Schriftführer), Erich Hoffmann (20 Jahre Mitglied), Georg Wernicke (letzter Vereinführer des SV 99 und jetzt Vereinsführer Tura 99) durch restlose Hingabe an die gemeinsame Sache höchstes Lob!


E
         in Phänomen ...

das heißt, eine unfaßbare Erscheinung im Fußballsport: Der SV Tura 1932. Woher kam er? Niemand weiß es, plötzlich aber war er da. Was er tat? Er spielte Fußball. Wie? Ganz groß! Tura spielte sich in einer Periode in die 1.Kreisklasse, in der folgenden Saison in die Bezirksklasse und gleich anschließend in die Gauliga hinein. 23 000 Zuschauer faßte unser Platz in Leutzsch, er reichte aber oft nicht aus, die Zuschauermassen zu fassen. Tura 1932 war ein Phänomen, eine Idee und eine Macht, die zur Begeisterung zwang und die Zuschauermassen in Bann schlug. Wie soll ich diese Erscheinung am Fußballhimmel erklären? Es sei mir erlaubt, zu einem einfachem Vergleich Zuflucht zu nehmen.

In der Gründungszeit des deutschen Fußballsports, also um die Jahrhundertwende, sind fast alle Vereine gegründet worden, wie „unser Stammvater“ Britannia 1899. Lehrlinge und Schulknaben spielten und der Vereinsführer wurde aus ihrer Mitte erwählt. Ganz wenige Vereine hatten eigene Spielplätze, man benutzte einfach eine Wiese. Die Spieler trugen auf der Schulter die Torstangen zum Platz und nahmen sie am Abend nach 6 bis 8 stündigem Spielbetrieb wieder mit und verstauten sie im Keller, Garten oder Waldhaus. Und weil einzig und allein die Jugend Trägerin des Sportgedankens war, waren alle Vereine sehr arm und sie entwickelten sich im Schneckentempo. Von Eltern und Erziehern wurde der Fußballsport als roh abgelehnt, und so waren die jungen Kameraden ganz auf sich angewiesen.

Während ich diese Zeilen schreibe fällt mein Blick auf den Briefbogen einer Holzstoff- und Pappenfabrik, gegründet 1657. Wie viel mal haben diese guten Menschen schon Jubiläum gefeiert und sie sind doch zu nichts gekommen! Das kleine Unternehmen hat sich von Generation zu Generation vererbt. Als 75jähriger Greis starb der alte Schleifer Erich Setzepfand, der mit 14 Jahren dort anfing. Die Gebäude sind im wesentlichen geblieben, die der 20fache Urgroßvater erbaut hatte. Die Inhaber waren immer grundehrliche Leute, immer sehr korrekt, und das Geschäft „nährte immer seinen Mann“, – aber es ist nie gewachsen. Die Holzschleiferei beschäftigte 1665 11 Leute, und heute 14 Leute. Das große Mühlrad am Bach wurde durch Aufstellen einer elektrischen Kraftanlage (1928) ersetzt. Aber das ist auch wohl die einzige Verbesserung gewesen. Dieser Betrieb wird immer leben. Aber eben gerade nur leben. Talaufwärts wandernd kommt man in einer Wegstunde wieder zu einer Holzstoff- und Pappenfabrik, die aber erst 1932 gegründet und mit den modernsten Maschinen ausgestattet wurde. Dort arbeiten seit dem ersten Tage 273 Menschen. Und wie sie arbeiten! Und wie verdient wird! Hier sind zum Arbeiten und Verdienen sämtliche Voraussetzungen erfüllt. Die Leiter des Unternehmens haben es an dem kleinen Konkurrenzunternehmer gelernt, wie man es nicht machen darf, – also machen sie es jetzt anders. Die Leitung des Großbetriebes regt sich über nichts auf, nichts kann ihr unerwartet kommen, sie beherrscht den Markt souverän; alle Möglichkeiten und Gefahren erfühlt sie mit feinem Fingerspitzengefühl, richtet sich rechtzeitig darauf ein, erspart sich Leerlauf, Verlustgeschäfte. Sie pariert geschickt jede leichteste Veränderung am Weltmarkt, noch ehe der kleine Wettbewerber die Situation erfasst hat. Die Aktien des neuen Werkes stehen hoch im Kurs. Die Holzschleiferei von 1657 ist das Bild des Fußballclubs Britannia von 1899 Leipzig. Die Gründung blitzsauber, der Idealismus der Gründung und Spieler beispielhaft, Spiel und Sportgeist der jungen Menschen über jedes Lob erhaben und bei größter Anständigkeit doch ein bescheidenes Unternehmen. Daß der SV 1899 Leipzig im Augenblick der Verschmelzung mit dem Gauligaverein Tura 1932 in der Bezirksklasse führend spielte, verdient höchstes Lob. Denn alles was dieser Verein geschaffen hatte, schuf er aus eigenen Kräften.

Das Bild der Tura habe ich mit der modernen Holzstoff- und Papierfabrik zu zeichnen versucht. Eine Neugründung 1932. Karl Schwarz, noch heute begeisterter Fußballspieler, widmete sich dem Fußballsport und gründete den SV Tura 1932. Ein anderer in seinen Verhältnissen hätte vielleicht Vergnügen daran gefunden, in eigener Jacht im Mittlermeer spazieren zu fahren, oder er hätte einige Monate im Jahr auf seiner Besitzung bei Berchtesgaden verlebt. Aber Karl Schwarz verschrieb sich mit Leib und Seele und aus höchsten Idealismus der Ertüchtigung der deutschen Jugend. Er rief, und es stand eine 1.Mannschaft, – die nicht von Pappe war! – Die Spielabschlüsse vermittelte in unnachahmlicher Manier der große Manager der Tura, Jack Emonts, und der Betreuer der 1. Mannschaft war Kamerad Erich Lemmnitz. Unvergeßlich wird der Leipziger Sportgemeinde bleiben, wie die kaum zusammengefügte 1.Turamannschaft vor 30 000 Zuschauern auf dem Sportplatz Leipzig den Deutschen Meister Schalke 04 mit 2:1 Toren schlug. Die Aufstellung war damals:

Croy

Schindler • Brembach

Riebel • Drobig • Darnstädt

W. Schmidt • Weidner • Müller • H. Schmidt • Lindner

Tore: Herbert Schmidt (2)

Und dieses Spiel war der Auftakt zu einem Siegeszug, wie er in der Geschichte des deutschen Fußballs einzig dasteht. Nicht allein wurde jeder Gegner bezwungen: es strömten die Zuschauermassen mit magnetischer Gewalt hinaus nach Leutzsch, um Tura zu sehen. Der Neuling in der Gauliga, Tura 1932, hatte gleich nach Schalke die meißten Zuschauer aller deutschen Fußballvereine! Was viele mißverstanden haben und nur wenige wissen, heute dürfen wir es sagen: Kamerad Schwarz war drauf und dran, seine alte Tura über die Stadtmeisterschaft zur deutschen Meisterschaft zu führen! Alles, aber auch alles, sprach für das Gelingen des Werkes. Da wurde das Turawerk in große staatspolitische Aufgaben eingeschaltet und unser hochverdienter Kamerad Karl schwarz entschied sich dafür, die sportlichen Interessen den staatspolitischen zu opfern. Nach sieben Jahren selbstloser, rastloser Arbeit für den Sportverein stimmte er der schon früher diskutierten Gründung eines starken Großvereins im Westen Leipzigs zu, und im November 1938 erfolgte der Zusammenschluss der beiden Vereine: SV 1899 Leipzig und SV Tura 1932, zum Turn- und Rasensportverein von 1899 Leipzig abgekürzt: Tura 1899 Leipzig.

Die Vereinsführung übernahm Georg Wernicke und er berief zu seinen engsten Mitarbeitern Paul Frenkel, stellvertretender Vereinsführer Oskar Pregel, Finanzberater und Treuhänder Erich Hoffmann, Schriftführer Krimmling. Die Kleidung ist blaues Hemd, blaue Hose, blaue Strümpfe. Alle unteren Mannschaften tragen das von Erich Hoffmann entworfene Abzeichen. Die erste Mannschaft spielt in weinroter Kleidung und trägt das alte Tura-Abzeichen mit der Jahreszahl 1899. Dem Verein stehen 6 Spielfelder in ausgezeichneter Verfassung zur Verfügung: 1. Platzanlage Leutzsch (alte Tura) das Ligafeld, zwei weitere Spielfelder, 2. Platzanlage Lindenau (alter SV 1899) 2 Spielfelder, 3. Platzanlage Schafwiese, ein Spielfeld, vorwiegend von der Jugend benutzt.

Die Wirtschaftsanlagen Leutzsch und Lindenau sind an gute Fachleute verpachtet. Die Platzanlagen mit zusammen 15 Umkleidekabinen werden in vorbildlicher Weise betreut durch die Kameraden Erich Fuchs und Otto Dietz, denen an dieser Stelle ganz besonderer Dank ausgesprochen sei! Allen, aber auch allen Mitarbeitern, die in selbstloser Weise ihre eigenen Interessen denen des Vereins unterordnen, will ich an dieser Stelle aus tiefstem Herzen danken.


40
           Jahre Fußball

Was liegt alles in diesem Wort! Die Gründer des Vereins brachten nichts mit als hohen Idealismus, Liebe und Begeisterung für den Fußballsport, -und dazu ihre eigenen Spargroschen. Lob und Ehre, Dank und Anerkennung fanden jene ersten Pioniere nicht, im Gegenteil, sie wurden beschimpft, bekämpft, der Lächerlichkeit preisgegeben. Zahlreiche Spieler mußten sich Decknamen zulegen, um nicht Arbeit und Brot zu verlieren. Unser Sprachschatz reicht nicht aus, dass in Worte zu fassen, was wir den ersten Kämpfern, den Jungens von 14 bis 18 Jahren, an Dank schuldig sind. War auch Undank euer Lohn, wurden euere Ziele verkannt, ihr selbst mißachtet: heute seht ihr die Früchte reifen jener guten Saat, die ihr vor 40 Jahren in einer aufnahmebereiten Ader legtet. Dass ihr Recht behieltet, daß aus euerer Saat eine gute Ernte reifte, daß spätere Generationen eurem bescheidenen Fußball den stolzen Namen "König Fußball" gaben, sei euch heute höchster Lohn. Nehmt dazu den Dank eurer Erben:

Ihr habt

den Grundstein gelegt,

darauf wir weiter bauen!

Wir kämpfen weiter unentwegt,

wobei wir auf euch

und die Zukunft schauen

In einem und altem

sind wir euch gleich:

wir kämpfen um Ehre,

um den olympischen Zweig!

Tura 1899 Leipzig

Bisher ... Wir haben seit dem Bestehen des Vereines bis heute vorwiegend den Fußballsport aus geübt, sind gewissermaßen „Spezialisten“ auf diesem Gebiete. Der Verein wurde kaufmännisch jederzeit so gut geleitet, daß er mit niedrigsten Beiträgen auskam, daß er nicht nur nie verschuldete, sondern erhebliche Beträge für Erwerb, Erhaltung, Ausbau und Pflege der Anlagen aufbringen konnte. Rückblickend auf das sportliche Leben des Vereines darf mit Befriedigung festgestellt werden, daß alles Pflichtspiele restlos und reibungslos durchgeführt wurden,  Maßregellungen und Herausstellungen von Spielern waren äußerst selten: -ein hohes Lob für den guten Sportgeist unserer Kameraden! Uneingeschränktes Lob verdient die kampffrohe 1.Mannschaft der alten Tura, in die sich die Kameraden aus dem alten SV 1899: Bossenz, Trisch, Carolin, Pfau, Goedicke wunderbar einfügten. Besonderes Lob unserem Auswahlverteidiger Werner Brembach, dem Spielführer der 1.Mannschaft, unserem unersetzlichen Mittelläufer Riedel, unserer großen Hoffnung Sommer, die dem Verein unverbrüchliche Treue geschworen haben! Vergeblich haben sich Leichenfledderer um Brembach und Riedel bemüht, und wir danken diesen Kameraden für ihre Standhaftigkeit. Wo könnten sie auch mehr Ehre ernten als bei Tura 99?! Unsere Spiele wurden recht gut besucht, der Durchschnitt liegt bei 3216 Zuschauern für jedes Punktspiel. Unser Spielbetrieb wird durch folgende dreißig Mannschaften bestritten: Eine 1.Mannschaft, eine Reservemannschaft, acht Herrenmannschaften, fünf Jugendmannschaften, zwei Herrenmannschaften (Handball), eine Damenmannschaft (Handball). Weiter betätigt sich im Schießsport die Schießabteilung mit sechsundsechzig aktiven (sehr aktiven!) Schützen. Bei festlichen Anlässen wartet der Spielmannszug mit ganz vorzüglichen Leistungen auf, und die Sängerabteilung verschönt jedes Fest. Der Plan, auch Hockey und Tennis einzuführen, wurde wieder aufgegeben, wir werden aber der Platzanlage Leutzsch noch drei Spielfelder angliedern und sie in modernster Weise ausbauen. Unsere Ziele für die Zukunft sind sehr klar und eindeutig: „Ein Volk in Leibesübungen“, wie es Deutschland braucht und wie es den verdienten Begründern des Vereins vor 40 Jahren vorschwebte. Das ist das allgemeine Ziel. und unser besonderes Streben soll sein und bleiben: Pflege vorbildlicher Kameradschaft im eignen Verein und mit allen Gleichgesinnten. Repräsentativ spielt unsere 1.Mannschaft.  Ihr spielerisches Können muß mit allen Mitteln gefördert werden ohne Rücksicht darauf, ob sich das schon heute lohnt oder nicht. Uns ist keine Summen zu hoch, wenn wir einen Sportlehrer verpflichten können von größtem Format, der sich dafür verbürgt, daß die 1.Mannschaft das wird, was wir wollen. Uns ist zur Stärkung der 1.Mannschaft jeder Spieler von großer Klasse herzlich willkommen, er soll und wird sich bei uns wohlfühlen. Doch wollen wir ihn nicht èkaufen“.

Einerlei, ob es uns gelingt, auf diesem legalen Wege eine erstklassige Ligamannschaft aufzustellen und zusammenzuhalten, wenden wir der Jugend unsere ganze Aufmerksamkeit zu. Unser Nachwuchs ist schon heute ligareif und unsere große Hoffnung. In allen unteren Mannschaften, der 3. und 4., und sogar in den alten Herrenmannschaften (Langhammer, Grübner) haben wir Spitzenkönner, die uns noch jederzeit repräsentativ vertreten können und werden. Darum haben wir keine Sorge um die Zukunft!

Unsere "Vereinspolitik" im Inneren: Die Vereinsführung ist keine Geheimwirtschaft. Über allem steht der Sportgedanke. Keiner wird, wer er auch sei, zurückgewiesen: Ihr alle könnte und sollt mitverantwortlich sein am Schicksal des Vereins. Doch täusche sich niemand über die Schwere des Dienstes und die Größe der Verantwortung, und es täusche sich niemand über den Lohn für seine Arbeit: Wer im Verein arbeitet, der opfert. Unsere "Vereinspolitik" mach außen: Wir fühlen uns als ein ganz kleines Glied in der großen deutschen Sportgemeinschaft. In dieser Sportgemeinschaft ist Konkurrenzneid unerträglich. Wir erachten es also als höchste Pflicht, mit allen anderen Vereinen die denkbar beste Freundschaft zu pflegen. Wir achten auch die schwächste Leistung des schwächsten Gegners. Wir sind weit davon entfernt, Spitzenmannschaften anzuhimmeln, denn wir streben ehrlich danach, selbst Höchstes zu erreichen. Von einem gesunden Egoismus beherrscht, stellen wir unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in das beste Licht und wissen auch dem mißlichen Geschick eine gute Seite abzugewinnen. -Wie im inneren Vereinsleben, so spielen wir auch nach außen mit offenen Karten. Geschäftlich und sportlich kennen wir keine Winkelzüge, und was wir zusagen, erfüllen wir. Dieser Weg ist klar, einfach, deutlich und sportgerecht. Er ist tugendhaft vom ersten Tage des Bestehens des Vereins durchgeführt worden, und wir gehen auf diesem Wege unbeirrbar fort und empfehlen ihn der kommenden Generation als gut und richtig. Was immer auch der Erfolg sein wird: ob wir spielen in der Gauliga, in der Bezirksklasse oder wo sonst: nichts wird uns von dem als richtig erkannten Wege abbringen können. Über allem aber steht uns die Ehre des Vereins, und jeder Sportkamerad nennt sich mit Stolz Turaner!


W
           enn man Pech hat ...

Dann macht die Braut auf dem Standesamt kehrt und haut ab! Der Bettler verliert das Stück Brot aus dem Rucksack. Der zuverlässigste Verteidiger schießt ein unhaltbares Eigentor. Und ich breche einen Finger der rechten Hand (als ungeschickter Torwart) genau eine Stunde, nachdem mich Kamerad Wernicke beauftragt hat, diese Festschrift zu schreiben. Mein Fünfjähriger weiß es schon lange, „Papa, du kannst doch nichts, außer ein bißchen mit der Schreibmaschine spielen“; nach diesem Unfall konnte ich überhaupt nichts mehr. Ich bat den Vereinsführer, die mir anvertraute Arbeit in andere Hände zu legen, doch leider erfolglos. Wenn dir nun, mein lieber Kamerad, an dieser Festschrift etwas nicht gefällt, oder wenn etwas fehlt, dann entschuldige mich freundlich und denke daran, daß die rechte Hand nicht wußte, was die linke tat!

Es ist üblich, und richtig, daß man bei einer so verantwortungsreichen Arbeit die alten Kämpen des Vereins zu Rate zieht und um Material bittet. Das habe auch ich getan, und die Folge war, daß mir rund 100 zum Teil vergilbte, zum Teil aus anderen Gründen unbrauchbare Lichtbilder übergeben wurden, und dazu noch seitenlange Lebensläufe verdienter Kameraden, mit genauer Aufzählung der gefeierten Jubiläen, der Vereinsnadeln usw. Die lieben Kameraden hatten sich leider in der Zielsetzung geirrt, denn ich habe die Aufgabe, eine Festschrift zu verfassen, während sie an eine tote Vereinschronik dachten. Während ich aus dem unerschöpflich sprudelnden Quell des gegenwärtigen Vereinslebens schöpfe und meiner lieben Tura 99 eine Festschrift überreichen will, die 1000 Vereinsmitglieder, 1000 befreundete Vereine und viele Freunde erfreuen soll, dachten sie mehr an eine chronologische Aufzählung der Geschehnisse seit 1899 bis 1939. Jeder der mir vergilbte Bilder brachte, war überzeugt, dieser Festschrift fehle etwas, wenn gerade dieses Bild fehlt. Im Jahre 1904 konnte immer noch die 1.Mannschaft der alten Britannia davon zehren, das sie 1903 einmal ein Spiel 3:2 gewonnen hat. Aber heute interessiert das niemanden mehr. Das Tempo unserer Zeit ist schneller geworden, wir erleben mehr und wir vergessen darum auch schneller. DSC, Schweinfurt 05, Rapid Wien, Schalke 04 haben uns vor 3 Monaten in Spannung gehalten, heute aber ist uns hundertmal wichtiger, wie wir im nächsten Monat gegen TuB und Spielvereinigung abschneiden werden. Darum gebührt der Gegenwart und Zukunft der breitere Raum, die hoffungsvolle Sprache, der Vergangenheit aber Anerkennung und Ehre, -Ewig jung ist der Sport, und das ist das bezaubernde Schöne an ihm. Alles ist Bewegung, der Sport ist frei von starren Gesetzen. Wie im Spiel sich eine Situation niemals genau so wiederholt, ist auch das wirtschaftliche Bild der Sportvereine fortgesetzten Veränderungen unterworfen.


90
           Minuten Fußball ...

bedeutet den Genuß vollkommener Freiheit. Der abhängigste Arbeiter genießt die Freiheit, bei seinem Spiel im Maße seiner Intelligenz seinen urplötzlichen Gedanken eigenmächtig in die Tat umzusetzen, ohne Gefahr zu laufen, sich dummer Kritik auszusetzen. Wer das Spielfeld betritt, ist nur Kamerad, es gibt keinen Klassenunterschied, keinen Befehlenden und keinen Gehorchenden, es gibt nur 11 Spieler und 11 Gegenspieler. Auf dem Spielfeld handelt jeder zwar als Glied der Mannschaft, aber doch in weitestgehendem Maße selbständig. Was der Spieler tut, ist „tabu“, unantastbar. Niemand kann es ungeschehen machen, und die Folgen trägt die Mannschaft in Kameradschaft und der Verein, ob sie vorteilhaft sind oder schlecht.

Es kämpfen zwei Gauligamannschaften im Endspiel um die Gaumeisterschaft, und dieses Spiel muß den Gaumeister ermitteln, Kurz vor Abpfiff steht das Spiel unentschieden. Folgende Kampfszene: Rechtsaußen, Partei A gibt eine Vorlage nach der Eckfahne des Gegners B in der Erwartung, daß der Herr A dem Ball nachgeht, ihn zur Strafraumgrenze flankt, womit eine Torgelegenheit entsteht. Der linke Läufer der Partei B täuscht geschickt den Herrn A und läßt den Ball passieren in der sicheren Annahme, daß der Verteidiger B den Angriff sicher abwehrt. Läufer B durfte im guten Glauben so handeln, weil Verteidiger B in zwanzig gleichen Fällen mit vollkommener Überlegenheit auf dieses Spiel einging. Aber ausgerechnet diesmal verpaßt Verteidiger B den Ball, er wird wirklich nach der Strafraumgrenze eingeflankt, und die Mannschaft A erzielt das entscheidende Tor, mit dem sie Gaumeister wird. Läufer B hatte, eben weil er Sportsmann ist, die vollkommene Freiheit seiner Entschlüsse: er konnte den Ball stoppen oder passieren lassen. Es wäre unrecht, ihm zu sagen, er hätte die Gaumeisterschaft verschenkt, und ebenso unrecht wäre es, dem Verteidiger einen Vorwurf zu machen, der zwanzigmal auf dieses Spiel einging und ausgerechnet diesmal "nicht da " war. Denn Rolf Sommer spielt ja nicht als Sommer, sondern als linker Läufer unserer 1.Mannschaft, und Trisch und Brembach spielen als Turaner, ihre Ehre ist unsere Ehre, ihr Schicksal unser Schicksal.

Wechselvollere Beziehungen als im Sport kann es kaum geben: Vollkommene Freiheit und vollkommenes Aufgehen in der Gemeinschaft fließen ineinander, und das Ergebnis sind ehrfurchtgebietende Leistungen der einzelnen Spieler, Mannschaften und Vereine.

Die Anfänge des deutschen Fußballsports reichen auf das Jahr 1890 zurück. 1900 ist der Zeitpunkt der Gründungen, 1910 die Zeitperiode der Organisation, 1920 die Aera der großen Meisterschaften, und heute glauben wir, Fußball in höchster Vollendung zu spielen.  Woran ich zu zweifeln wage. Denn in 20 Jahren werden wir den Wert einer Mannschaft nach der Schönheit ihres Spieles, aber nicht mehr nach Toren messen. Wir werden spielen in vollendeter Eleganz, den Körper des Gegners nie und unter keine Umständen berühren. Es wird nach 20 Jahren auch keine Tore mehr geben, und man wird den Sieger nach Punkten feststellen oder das Urteil den Zuschauern überlassen. Und die Schnelligkeit wird nicht ausschlaggebend sein, denn Aschenbahn und Spielfeld sind zwei grundverschieden Dinge. Wahrscheinlich wird die körperlich bedingte Technik des Fußballspiels gleich sein einem künstlerisch hochentwickelten Billardspiel, und wer will ernsthaft für unmöglich halten, daß im Jahre 1960 die deutsche Fußballmeisterschaft an eine Mannschaft von 11 Professoren der Mathematik im Alter zwischen 40 und 65 Jahren fällt, an Gelehrte, die mit Rechenschieber, Zirkel und allerlei Formeln die Erfolgsmöglichkeiten exaktwissenschaftlich vorher errechnet haben! Nichts ist unmöglich im Sport, nirgends gibt es Stillstand. Wir ehren das Alte, leben im Heute und blicken erwartungsfroh in die Zukunft. Hinein!

Martin Trümpelmann